Schreiben

Auf dieser Seite finden Sie: Veröffentlichungen und Ankündigungen in »Lyrik« und »Prosa« sowie eine kurze Geschichte meiner Geschichten.

Romanprojekt

Foto: Judith Schäfer

»Als zweierlei gelten das Sein und das Nichtsein.«

Euripides, »Alkestis«

In meinem Roman zum Thema Verlust und Erinnerung begegnen sich drei Personen an einem Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfallen.

Wie lässt es sich im Heute leben, wenn Erinnerungen uns immer wieder ins Gestern ziehen?

Veröffentlichung in Syltse, #004, »anders«, 2020.

Lass mich in deiner Kuhle hausen, 
mit nichts als  der Ahnung von dir, 

lass mich in deiner Beuge liegen, 
in der Erinnerung  
an früher. 

Ich möcht mich  
in deine Kreisform schmiegen, 
dorthin, wo du zurückkehrst zu mir. 
Ich sitze in deinem Schrank  
und zähle die Motten  
die sich eingenistet haben  
seitdem  du fort  bist.     

In deine Ärmel  
Beine und   
Hüte,  
in deine Streifen und  
Farben und  
Punkte  
die leuchten  
noch immer.     

Seitdem   
du  fort bist  
wohne ich  
mit den Motten  
in deinen Ärmeln  
Beinen und   
Hüten  
in deinem Schrank. 
Am Tag des Jahrmarkts
ziehen die Ratten über das Feld
und dringen in das Fundament der Häuser
derweil deren Bewohner 
drüben auf dem Marktplatz
das Kettenkarussell besteigen und 
das Ticket lösen für
die Geisterbahn und wo ihnen auch
das Spiegelkabinett 
süße Verwirrung stiftet.
 
Und die Ratten
klettern in die Schächte
nagen und kratzen
grobe Risse ins Dach
und spielen – ohne Bosheit –
die Dämmwolle zu den Abwasserrohren hinaus, 
auf die Straße,
in die Gassen,
hinunter auf die Höfe.
 
Sie essen nicht mehr auswärts
sie zehren jetzt von Innen
von denen, die nicht zurück sind
die noch steigen und fallen,
und heiser sich schreien, bis 
ihnen die Luft stockt
hinter dem dichten Flaum
alter Zuckerwatte.
  
Bei ihrer Rückkehr schwanken
in allen Gassen
die Häuser –
die Bewohner, die Nachbarn, erst denken sie nichts
und dann:
 
– es ist wohl in den Beinen
der Schwindel des Karussels bloß, 
ja den Kopf stopfen uns noch
die Geister der Bahn, die scheppernd 
ihr Mahnen geheult haben,
und was wir noch immer da vor uns sehn,
Augen wund und wehe, ist nichts als
der Blick aus dem Labyrinth 
blinder Spiegel. 

Veröffentlichung in Versnetze 13

Schulbank

Sie hatten mir zu Essen gegeben:
Papier, Feder, Tinte und Sand.
Unter Nägel und Haut
geritzt und gekratzt:
Gefühle, Fakten, nur
ja keine Fragen
Über dem Kopf flatternd,
stets hungrig,
der Argwohn, es sei noch
viel mehr
hinter den Fenstern und
in den Laden der kleinen Tische
was in die Bücher sich nicht
hinein-, oder was sich vor
langer Zeit aus ihnen heraus-
geschlichen hatte.

Veröffentlicht in: Versnetze_13. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart. Herausgegeben von Axel Kutsch. Verlag Ralf Liebe, 2020.

Veröffentlichung Kempener Literaturwettbewerb 2019

Der See
 
Wenn ich an den See denke
auf dessen Grund
jene Erinnerung wartet
auf mich
 
An einen Sommer
als deine Augen
wie deine Hände
leicht auf mir ruhn
 
und deine sandigen Füße
den Steg entlang
sonnengebräunt
bis zum Rand gehen
 
und du mit einem Ruf
der wie alles an dir
so leise ist
zum Sprung ansetzt
 
über die Kante
und der grüne See
schluckt dich ganz
zuerst deine Füße
 
und gleich alles von dir
in einem Augenblick
bist du fort
vom Zeh bis zu den Locken
 
Dann bin ich noch immer
jetzt und hier
verblüfft über diese Nähe
von Abgrund und Glück.

Veröffentlicht in: Von Abgrund und Glück. 7. Kempener Literaturwettbewerb. Stadt Kempen. BVK Buch Verlag, 2019

Ich freue mich über die Veröffentlichung im Rahmen der Literaturwettbewerbs. Und darüber, dass mein letzter Vers zum Buchtitel geworden ist …

Veröffentlichung Versnetze_zwölf

Foto von Buchcover Versnetze_zwoelf
Auf dem Weg nach unten
löschst du die Briefköpfe
und sagst
Meine Worte sollen
an jeden gehen

Aber meine Schuhe
können nicht bleiben
sie müssen vors Haus
und du Kind wirst
ob du willst oder nicht
fortan darin stehen.
In deinen Nabel
den Haken gespannt
Das Seil
von Decke zu Wand
Den Kopf
in die Spindel gebunden
in schnellen Lauf
das Rad noch gewunden
Die Hände
zum Fenster hinaus
und die Füße
in die Pfütze vorm Haus

Die Augen dabei
in meine Richtung verkehrt
Im Kleeblatt
Deine Perspektive
bleibt unversehrt

Veröffentlicht in: Versnetze_zwölf. Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart. Herausgegeben von Axel Kutsch. Verlag Ralf Liebe, 2019.

KURZE GESCHICHTE MEINER GESCHICHTEN

Frühe Geschichten

Die erste kleine Lesung einer eigenen Geschichte vor Publikum hatte ich, wie wohl hierzulande jede*r Schüler*in, in der Grundschule. Ein Junge fliegt auf einem Kissen zum Fenster hinaus und entdeckt auf seinem nächtlichen Ausflug ihm bisher unbekannte Dinge, die sich bei Tage nicht ereignen. Die Klasse lauschte; anschließend wurde ich für den ›Vorlesewettbewerb‹ der Schule ausgewählt und bekam den dritten Platz. In der 6. Klasse wiederholte sich das Ereignis, auch diese eigene Geschichte handelte von einer Fantasiereise. Die schüchterne Schülerin, die ich damals war, konnte es nicht fassen: Sogar die Jungsbande, die mir das Schulleben sonst so schwer machte, kam nach der Stunde zu mir, weil sie »das irgendwie ganz gut« fanden.

Erste Stoffe

Meine ersten Geschichten jenseits von Schulaufgaben schrieb ich im Alter von zwölf Jahren. Damals spielten Figuren aus den Serien, die ich gern sah, und später aus meiner Lieblingsband die Hauptrolle. Sie alle hatten Konflikte rund um eine unmögliche Liebe oder innerhalb problematischer familiärer Konstellationen auszutragen. Den Figuren war in vielen Fällen außerdem eine große Zuneigung zu alten Häusern und zur Natur gemeinsam.

Literaturkurs

Durch einen Literaturkurs lernte ich schließlich, dass man nicht nur mit dem Was, der Handlung, sondern auch durch das Wie (Klang, Rhythmus, Wortwahl, Metaphern u.s.w.) Vorstellungen erschafft. Schon damals interessierten mich die inneren Bewegungen von Figuren und ihre Wahrnehmungen stärker als äußere Handlungen, die für mich hinter Gedanken, Sinneseindrücken und Empfindungen der Figuren zurück blieben. Das ist bis heute so. Der Kurs schloss ab mit einer Lesung in der Schulaula, meiner ersten vor einem Publikum, das nicht nur aus Mitschüler*innen bestand.

Späte Rückkehr

Nach der Schule folgten Jahre an Theatern und Universitäten; ich schrieb lange ›nur‹ wissenschaftlich, zudem Artikel, Programmtexte, Kritiken und natürlich meine Doktorarbeit.
Das Thema von im Doppelsinn ›aufgehobener‹ Erinnerung an besonderen Orten hatte mich schon länger beschäftigt, als ich auf einer Reise auf die Ruine eines einst prächtigen Hotels stieß. Von diesem Eindruck aus, der Vergangenheit und Gegenwart in einem Spannungsverhältnis und in nur einem Bild erfahrbar machte, begann ich mit einem Romanprojekt.

Neben diesem Projekt schreibe ich seit vergangenem Jahr auch Lyrik (veröffentlicht bisher in Versnetze_13, Versnetze _zwölf und in Von Abgrund und Glück. 7. Kempener Literaturwettbewerb 2019) und Kurzgeschichten.

Und warum eigentlich?

Ich schreibe, weil mich die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven, Wahrnehmungen und Weltzugänge einnehmen zu können, interessiert. Diese Möglichkeit eint das Schreiben mit dem Theater. Ich kann imaginieren, wie jemand handeln und empfinden könnte, der eine bestimmte besondere oder auch gar nicht so besondere Situation erlebt. Ich kann durch Augen schauen, die nicht meine sind, und Reisen auch an Orte unternehmen, an denen ich nie war oder die überhaupt nicht existieren. Ich kann Zeiten umspannen, dehnen, suspendieren und Menschen ihre Gegenwart genießen, leugnen oder vergessen lassen – das gilt für die Figuren und hoffenlich auch für Leser*innen.

Fotos: Privat